Ich schlage die Augen auf, schaue auf die Uhr. Wie fast jeden Morgen ist es 7 Uhr, aber irgendetwas stimmt nicht, es ist dunkler als sonst. Beim Blick aus dem Fenster wird die Vermutung zur Gewissheit. Es regnet und hagelt in Strömen, zum ersten Mal seit wir in Südamerika sind. Die Vorboten der Regenzeit. Das passt ja prima, so kurz vor weiteren Highlights, die wir heute ansteuern wollen: die Rainbow Mountains, Cusco und Machu Picchu. Beim Frühstück befragen wir eine WetterApp nach der anderen, entscheiden uns doch an die Küste Richtung Arequipa und in die Wärme zu fahren, um uns eine Stunde später wieder umzuentscheiden und Cusco zu versuchen. In den nächsten 2 Wochen soll das Wetter hier eher schlechter werden, also versuchen wir es.
Die Route über die Routa 3 führt uns von Puno nach Norden und sollte eine der schlimmsten Verkehrserfahrungen sein, die ich
bisher in allen Ländern die ich bereist habe, gemacht habe. Die absolute Anarchie! Auf der ein- und manchmal zweispurigen Straße tummeln sich Raser, TukTuks, Fahrradrikschas, LKW, PKW und
Minibusse mit allen Geschwindigkeiten. Die Minibusse halten irgendwo an, wo es ihnen gerade passt und sie einen zahlenden Gast aufnehmen können. Niemand hat auch nur einen Gedanken an
Rücksichtnahme oder vorausschauendem Fahren. Wo Platz ist wird sich reingequetscht, auf der vierspurigen Straße werden wir überholt, obwohl wir selbst gerade überholen. Da wird eben eine Spur
mehr definiert und wenn´s nicht passt wird abgedrängt.
Am krassesten ist ein Verrückter, der die ganze Autokolonne überholt und sich einen sch... um den Gegenverkehr kümmert. Entweder die anderen weichen aus, oder es kracht. Wahnsinn! Zwischendurch
befinden sich auf der vierspurigen Straße auch noch in regelmäßigen Abständen diese Buckel, die den Verkehr verlangsamen sollen. Die sind so hoch, dass manche Autos aufsetzen und nur in
Schrittgeschwindigkeit drüber können. Ein ständiges Bremsen und beschleunigen. Die Polizei macht auch fein Kontrollen und so müssen wir zum dritten mal in zwei Tagen unsere Papiere vorzeigen. Das
geschieht aber immer fair und nüchtern, keine Anzeichen von Abzocke bisher.
Das Chaos geht etwa 80 km so, dann haben wir die dichter besiedelten Gebiete hinter uns gelassen.
Statt der verrückten Verkehrsteilnehmer sorgen dann die Wolken für schlechte Stimmung. Wir fahren auf eine rabenschwarze Regenfront zu und müssen schon bald den ersten Pfützen ausweichen und
können den Regen vor uns riechen. Also zum ersten Mal die Regenklamotten rausgeholt, die Griffheizung an und rein ins Vergnügen. Zum Glück fängt es erst ca. 50 km vor unserem Tagesziel Combapata
an so richtig heftig zu regnen. Das macht die Fahrt auf der bröckeligen und verdrückten Straße mit einer Menge Spurrillen auf keinen Fall langweiliger. In unserem Zielort gibt es nur ein
Guesthouse, in dem wir auch einchecken, weil wir morgen zu den nahegelegenen Rainbow Mountains fahren wollen. Eine tolle Absteige: Steckdosen ohne Strom, Toilette ohne Klobrille, kein heißes
Wasser, der Putz blättert von den Wänden und es müffelt. Hier schlafe ich lieber in meinem Schlafsack statt in den zweifelhaften Wolldecken. Dass es Nachts eisekalt wird mangels Heizung versteht
sich von selbst. Aber alles immer noch besser als im nassen Zelt zu schlafen. Die Restaurants sind wegen dem Feiertag heute (Allerheiligen) alle zu, wenigstens bekommen wir an einem Kiosk noch
eine Dose Bier und eine Dose Thunfisch, Festessen!
Am nächsten Morgen ist alles vergessen, die Sonne lacht und die tristren Wände der Absteige wirken gleich freundlicher. Ich
bin so froh, dass wir zu den Rainbow Mountains fahren können und das Wetter mitspielt. Schon mehrmals haben wir jetzt erfahren müssen, dass die Wetterapps in dieser Region eher einer Lotterie
ähneln, als seriösen Vorhersagen. Zum Frühstück gibts einen self-made Espresso und um 9 Uhr sitzen wir auf den Maschinen und steuern die Berge an. Ich bin voller freudiger Erwartung und werde
schon von der Anfahrt zum 4700 m hoch gelegenen Parkplatz überrascht: die Strecke ist ein Traum, schlängelt sich als gut zu befahrende Schotterpiste spektakulär durch ein wildes Tal, zeitweise
über enge Felsdurchbrüche und Serpentinen, teilweise mit mehrere hundert Meter Abgrund direkt neben der Piste. Hinter jeder Kurve erwarte ich ein neues Fest für die Augen und werde nicht
enttäuscht: ständig wechselnde Szenerie, Alpakas neben der Straße, buntes Felsgestein. Einfach ein Genuß zu fahren! Und dazu schönster Sonnenschein statt dem erwarteten Regen. Ein Traum. Ich
frage mich, warum in den ganzen Reiseberichten immer nur von den Rainbow Mountaiuns geschrieben wird und nicht von dieser großartigen Zufahrt. Auf 4700 m erwartet uns dann das Kassenhäuschen, an
dem 10 Soles (ca. 2,50 €) zu zahlen sind und natürlich der Aufstieg zu dem Pass mit den bunten Gesteinsschichten auf 5050 m Höhe. Gestern Nacht hat es hier oben geschneit, wir sind gespannt, ob
wir überhaußt etwas sehen, aber der Menschenmenge nach zu urteilen, die wir oben erblicken, muss es toll sein. Eine Stunde brauchen wir für den Auftieg und die dünne Luft macht sich ganz schön
bemerkbar. Die Lunge saugt in doppelter Atemfrequenz Luft ein, trotzdem werden die Schritte langsamer und die Pausen länger. Zum Glück haben wir beide nichts mit Kopfschmerzen und Übelkeit zu
tun. Die lange Zeit zwischen 3500 und 4800 m in Bolivien haben uns gut akklimatisiert. Oben angekommen schwanke ich zwischen beeindruckt und abgenervt. Es tummeln sich ca. 200 Leute oben auf dem
schmalen Grad, Peruanerinnen haben regelrechte Kioske aufgebaut, an denen man Lamagoulasch essen kann, ein Gipfelwächter in Uniform überwacht die ganze verrückte Szenerie mit plärrender
Trillerpfeife im Mund. Ein bizarres Szenario. Auch wer sich hier auf über 5000 m gekämpft hat, erstaunt uns: neben rosa beschuhten Schulmädels, hippe Jungs und jede Menge einheimische Touris, die
sich von Guides, z.T. mit Sauerstoffflaschen hierher bringen lassen.
Die Rainbow Mountains an sich sind schon beeindruckend, allerdings heute nur zur Hälfte zu sehen, da sich auf der Südseite (das ist auf der Südhalbkugel die Seite in der die Sonne Mittags nicht
steht, die steht hier Mittags im Norden!) der Schnee gehalten hat. Sieht trotzdem prima aus. Wir bleiben ca. eine Stunde hier oben und sind nach einer Dreiviertelstunde wieder an den
Mopeds.
Fazit: es hätte etwas gefehlt, wenn wir nicht oben gewesen wären, allerdings fand ich das Regenbogental in San Pedro beeindruckender, auch weil wir dort quasi alleine waren, weil keine
organisierten Touren dort waren. Die Rainbow Mountains scheinen mir eine vom Tourismusverband hochgehypte Attraktion zu sein, die zugegeben toll ist, aber auch gnadenlos ausgeschlachtet wird. Wie
hier Touristen ausgenommen werden, sollen wir noch öfter erfahren. Die Menschenmassen verleiden mir solche schönen Orte etwas und ich denke die ganze weitere Fahrt darüber nach, ob ich mir den
Machhu Picchu wirklich antun soll. Mal sehen.
Die Fahrt zurück über die Piste zur Hauptstraße genieße ich wieder in vollen Zügen und wir investieren eine gehörige Zeit
für Foto- und Filmaufnahmen.
Nach Cusco haben wir jetzt noch genau 100 km, benötigen aber geschlagene 2 Stunden, weil wir sage und schreibe wieder 16 km durch die Stadt fahren müssen. Und natürlich wieder in eine
Polizeikontrolle geraten. Wie jeden Tag in Peru.
Cusco hat sich entlang des Tals ausgebreitet und so quälen wir uns wieder durch abgrundtief häßliche Vortstätte und Industriegebiete, bis wir endlich im schönen Altstadtbereich wiederfinden.
Finden tun wir leider nicht unsere Airbnb Unterkunft. Da dort eine falsche Adresse hinterlegt ist, brauchen wir eineinhalb Stunden, bis wir mit viel hin und her endlich unsere Bleibe finden.
Etwas außerhalb des touristischen Stadtkerns, aber ansonsten prima. Auspacken, Dusche und ab in eins der vielen Restaurants. Im Stadtkern ist alles sehr touristisch, schick und teuer. Wir essen
da mal lieber bei uns in der Ecke in einem Restaurant, in dem wir die einzigen Ausländer sind und für kleines Geld einen riesigen Grillteller bekommen. Klasse!
Den nächsten Tag erforschen wir die Stadt und die alte Inkastätte Sacsayhuaman, die man zu Fuß gut erreichen kann. Es ist
eine mehrere Hektar große Ausgrabungsstätte, in der man die kunstvoll verbauten Riesensteine bewundern kann. Es ist einfach unglaublich und bis heute ungeklärt, wie die Inka solch großen Steine
mit dieser Präzision verarbeiten konnten. Für das Staunen müssen wir auch ordentlich hinblättern: 20 € Eintritt für ein Freilichtmuseum ohne weitere Infrastruktur ist schon ein saftiger Preis.
Gelohnt hat es trotzdem. Wir halten uns über 2 Stunden auf dem Gelände auf, genießen die Aussicht auf Cusco und belohnen uns dann unten in der Stadt mit zwei Bier in der Motorradkneipe Nortons
Bar. Auf vielerlei Ratschlag mussten wir natürlich dorthin und es hat sich auch gelohnt. Tolle Location, obwohl ioch sicher bin, dass wir dort die einzigen Motorradfahrer waren.
Die Altstadt in Cusco ist ebenfalls auf jeden Fall sehr sehenswert: schöne entspannte Plätze, für Peru erstaunlich wenig Verkehr, entspannte Atmosphäre. An vielen Plätzen tanzen und musizieren
selbst die Jugendlichen, es gibt ein Fußballstadion mitten in der Stadt, in das die Fans mit einem Spielmannszug Einzug halten (das sollte man mal in der Bundesliga einführen). Selbst die
allerorten zu hörende Panflötenmusik klingt bei weitem nicht so nervig wie in deutschen Fußgängerzonen. Mir hat die Stadt sehr gut gefallen und ist mit Sucre mein städtisches Highlight
bisher.